Deutsche Rentenversicherung

Nachrichten Sommer 2024

Väter sind bei Erziehungszeiten für Rente nicht benachteiligt

Das Bundessozialgericht hatte sich am 19. April 2024 mit der Frage befasst, ob Kindererziehungszeiten, wenn sich eine überwiegende Erziehung nicht feststellen lässt, nach der Neufassung von § 56 Sozialgesetzbuch VI allein der Mutter zuzuordnen sind oder ob ein Wechselmodell anzuwenden ist. Es war auch zu klären, ob die pauschale Zuordnung der Zeiten zur Mutter als erste Auffangregelung im § 56 SGB VI Väter benachteiligt, und damit ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt.

Vater mit KindQuelle:Robert Kneschke/stock.adobe.com

Zum Sachverhalt

Der Kläger begehrte die Vormerkung von Kindererziehungszeiten und weiterer Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
Der 1958 geborene Kläger und die Kindsmutter lebten zunächst in häuslicher Gemeinschaft mit der 2001 geborenen Tochter. Sie gaben keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit ab. Der Kläger war nach der Geburt der Tochter weiterhin in Vollzeit beschäftigt. Die Kindsmutter war nach der Geburt zunächst nicht beschäftigt und nahm kurz vor dem 6. Geburtstag der Tochter eine geringfügige Beschäftigung auf. Sie zog am 10. November 2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt seitdem vom Kläger und der Tochter dauerhaft getrennt. Inzwischen ist ihr Aufenthalt unbekannt, das Ruhen ihrer elterlichen Sorge wurde durch das Familiengericht festgestellt.

Die Deutsche Rentenversicherung Hessen als beklagter Rentenversicherungsträger merkte auf Antrag die Zeit vom 10. November 2008 bis zum 18. Juli 2011 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung im Versicherungskonto des Klägers vor. Für die Zeit vor dem Auszug der Kindsmutter wurde die Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten wegen Kindererziehung abgelehnt, da keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben worden sei und sich eine überwiegende Erziehung durch den Kläger erst ab dem 10. November 2008 habe nachweisen lassen.
Das Sozialgericht hatte die Klage nach weiteren Ermittlungen zum Umfang der (zeitlichen) Erziehungsanteile der Eltern abgewiesen. Die Berufung des Klägers war erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hatte ausgeführt, die Zuordnung von Kindererziehungszeiten orientiere sich vorrangig am gemeinschaftlichen Willen der Eltern. Wenn dieser, wie hier, nicht erklärt worden sei, sei die überwiegende Erziehungsleistung maßgeblich. Hier habe sich ein überwiegender Erziehungsanteil des Klägers für den streitbefangenen Zeitraum jedoch nicht nachweisen lassen. Die Erziehungszeit werde daher der Mutter zugeordnet. Die Auffangregelung verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, sondern diene in zulässiger Weise der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen.

Der Kläger rügt unter anderem eine Verletzung der gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz. Er werde aufgrund seines Geschlechts benachteiligt. Das hinter der Auffangregelung stehende Rollen- und Familienbild entspreche nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Eine an das Geschlecht anknüpfende Benachteiligung liege ferner darin, dass bei gleichgeschlechtlichen Elternpaaren in vergleichbarer Situation die Kindererziehungszeiten zu gleichen Teilen zwischen den Elternteilen aufgeteilt würden.

Entscheidung des Bundessozialgerichts

Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Der Kläger kann die Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung seiner Tochter nicht beanspruchen.
Nach Aussage des Bundessozialgerichtes in der mündlichen Urteilsbegründung wurde die Auffangregelung des § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI zutreffend zur Anwendung gebracht.
Danach wird die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet, wenn die Eltern keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben und eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vorliegt. Auf die Regelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI, wonach Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden, kann sich der Kläger nicht berufen. Hierbei handelt es sich um eine weitere Auffang­regelung für Konstellationen, in denen sonst keine Zuordnung der Kindererziehungszeit, insbesondere keine Zuordnung zur Mutter, möglich ist. In dem vorliegenden Fall war aber bereits die erste Auffangregelung einschlägig.

Das Bundessozialgericht bestätigte, dass die Auffangregelung des § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI nicht gegen das Gleichberechtigungsgebot des Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz verstößt. Zwar bewirkt die Regelung eine Benachteiligung des Vaters, sie ist aber zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots gerechtfertigt. Indem die Auffangregelung die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet, werden faktische Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer.

Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde daher von Anfang an als Beitrag zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen konzipiert. Obgleich die Erwerbstätigenquote und teilweise auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern, insbesondere mit Kindern unter drei Jahren, gestiegen ist, bleibt sie immer noch deutlich hinter der von Vätern zurück. Die Richter verwiesen auf die Mikrozensus-Auswertung des Statistischen Bundesamts. Bei gemischtgeschlechtlichen Eltern mit Kindern unter drei Jahren hätten danach 2012 zwei Drittel der Mütter gar nicht gearbeitet und nur zehn Prozent in Vollzeit. Die Väter hätten dagegen zu 80 Prozent weiter voll gearbeitet. Der Erwerbsanteil bei den Müttern habe bis 2019 zwar etwas von 33 auf 39 Prozent zugenommen, bei den Vätern seien es aber über 90 Prozent gewesen. Solche „typischen Nachteile der Mütter“ habe der Gesetzgeber mit der Auffangregel teilweise ausgleichen dürfen.

Die Mütter bevorzugende Auffangregelung ist auch nach Ausführungen des Bundessozialgerichtes verhältnismäßig. Die Zuordnungsregelungen in § 56 Absatz 2 SGB VI lassen genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.

Vanessa Beckmann, Versicherung und Rente

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Inhalt des Dossiers

  1. Zuschläge für Erwerbsgeminderte ab 1. Juli 2024
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  3. Haben Sie Fragen?
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  5. Sozialmedizinische Beratung für ­onkologisch Erkrankte in Marburg
  6. Deutsche Rentenversicherung Hessen unterstützt Mut-Tour
  7. Versichertenälteste für ­Ehrenamt ausgezeichnet
  8. 75 Jahre Grundgesetz
  9. Väter sind bei Erziehungszeiten für Rente nicht benachteiligt
  10. Kindererziehung erhöht die Rente
  11. Zu Gast in Mannheim