Die Geburtsstunde der deutschen Sozialversicherung
Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts schuf die neue Klasse der "Arbeiter". Sie und ihre Familien waren sozial nicht abgesichert und litten daher bei Invalidität oder im Alter oft unter großer Not. Eine allumfassende Vorsorge gegen die Wechselfälle des Lebens gab es noch nicht.
Angesichts des wachsenden Einflusses der Sozialdemokratie sah sich schließlich Kaiser Wilhelm I. auf Anraten von Reichskanzler Bismarck veranlasst, in seiner Thronrede bei der Reichstags-Eröffnung am 17. November 1881 dem Reichstag seine Auffassung vorzutragen, "dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde".
Der Kaiser legte daher in dieser "Kaiserlichen Botschaft" dem Reichstag diese Aufgabe von neuem ans Herz und forderte ihn auf, Gesetze zum Schutz der Arbeiter gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und im Alter zu beschließen.
Der Reichstag verabschiedete daraufhin nach intensiven Beratungen
Als regional gegliederte Versicherungsträger der Invalidenversicherung - wie die Rentenversicherung anfänglich genannt wurde - wurden "Landesversicherungsanstalten" errichtet. Anfangs hießen sie allerdings noch zum Teil "Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt", zum Teil auch einfach nur "Versicherungsanstalt". Ihnen standen sogenannte "Ausschüsse" (heute "Vertreterversammlungen") und Vorstände vor, in denen Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten die Geschicke der einzelnen Anstalten lenkten. Die Rentenversicherung war somit von Anfang an nach dem Prinzip der Selbstverwaltung organisiert.
Im Laufe des Jahres 1890 wurden 31 Versicherungsanstalten als Träger der Invalidenversicherung errichtet. Sie zahlten ab 1891 Invalidenrenten an Versicherte, wenn diese "dauernd erwerbsunfähig" waren. Altersrenten wurden erst mit Vollendung des 70. Lebensjahrs bewilligt. Hinterbliebenenrenten gab es damals noch nicht. Die Renten wurden finanziert durch gleich hohe Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber sowie durch einen Reichszuschuss - eine Regelung, die sich im Prinzip bis heute erhalten hat.
1890 - Das Gründungsjahr
Eine Versicherungsanstalt für das Herzogtum Oldenburg
Den ersten Schritt zur Errichtung einer eigenen Versicherungsanstalt für das Oldenburger Land vollzieht das Oldenburgische Staatsministerium am 3. Mai 1890 mit dem Erlass einer Wahlordnung für den Ausschuss des zu gründenden Versicherungsträgers. Dieses Selbstverwaltungsgremium setzt sich zusammen aus je fünf Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In der konstituierenden Ausschusssitzung vom 8. August wird ein Vorstand gebildet und das Statut beschlossen. Die Versicherungsanstalt Oldenburg ist ins Leben gerufen. Nicht zum Anstaltsbereich zählen die zum Großherzogtum gehörenden Fürstentümer Birkenfeld und Lübeck.
Mit zwei Staatsbeamten, zwei Hilfskräften und einem Boten beginnt im November 1890 in der Lindenallee in Oldenburg die Arbeit der Anstalt. Rund 55.000 Versicherte sind zu betreuen. Dass mit der Einführung einer Rentenversicherung völliges Neuland betreten wurde, zeigt sich schon bald an zahlreichen organisatorischen wie rechtlichen Problemen, die es nach und nach zu lösen gilt.
1891 - 1914
Die Zeit bis zum ersten Weltkrieg
Aus der Gründungsphase entwickelt sich rasch ein reger Dienstbetrieb. Die Zahl der Versicherten nimmt ständig zu. Schon bald genügen die ersten Büroräume nicht mehr den Anforderungen. 1893 zieht die Versicherungsanstalt um in die Huntestraße, den heutigen Sitz der Hauptverwaltung.
Zu dieser Zeit werden bereits Heilverfahren durchgeführt. Die erste Lungenheilstätte der Anstalt, die sich seit der Jahrhundertwende "Landes-Versicherungsanstalt Oldenburg" (LVA) nennt, nimmt 1903 in Sannum bei Huntlosen den Betrieb auf.
Daneben wird begonnen, die Volkskrankheit Tuberkulose an der Wurzel auszurotten. Zur Verbesserung der Wohnverhältnisse werden erhebliche Mittel bereit gestellt. Noch heute gehört die Förderung des Wohnungsbaus zum Tätigkeitsfeld der Rentenversicherungsträger.
Fast ein Vierteljahrhundert ist seit der Gründung vergangen, als der erste Weltkrieg ausbricht. In diesem Zeitraum hat sich die Einwohnerzahl im unverändert gebliebenen Anstaltsbezirk von 279.000 auf über 390.000 erhöht. Der durchschnittliche Jahresbeitrag ist von anfangs 6,6 auf 16,6 Reichsmark angestiegen und die Aufgaben der Verwaltung werden von 18 Beamten wahrgenommen.
1918 - 1945
Die LVA in der Zeit zwischen den Kriegen
Auch wenn die Kriegsjahre nicht spurlos an der LVA vorübergegangen sind, steht sie Ende 1918 noch vergleichsweise gut da. Doch die folgenden Jahre der Inflation bringen die LVA 1923 an den Rand des Ruins. Die Gesundheitsfürsorge wird eingeschränkt. Vorübergehend müssen das Haus Sannum und die 1921 eröffnete Lungenheilstätte Ahlhorn geschlossen werden. Noch immer verlangt die Bekämpfung der Tuberkulose enorme Anstrengungen. Ein besonderes Augenmerk gilt aber auch den Geschlechtskrankheiten.
Erneute Schatten wirft die Weltwirtschaftskrise. Nur durch Veräußerung von Wertpapieren gelingt es der LVA, sich über das Krisenjahr 1932 zu retten.
Die folgenden Jahre sind zu einem großen Teil von organisatorischen Änderungen geprägt. Unter anderem kommt es durch die Machthaber des Nationalsozialismus zur Auflösung der Selbstverwaltung. Die Gesundheitsfürsorge schenkt nun auch der Krebsbekämpfung größere Aufmerksamkeit. Auf Anregung der LVA wird 1937 im Oldenburger Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital eine Krebsberatungsstelle eingerichtet. Der Anstaltsbereich erweitert sich in diesem Jahr um die bis dahin zur LVA Hannover gehörende Stadt Wilhelmshaven.
Eine entscheidende Veränderung des Anstaltsbereichs bringt das Jahr 1939. Im Zusammenhang mit dem "Groß-Hamburg-Gesetz" wird das bis dahin zum Verband der LVA der Hansestädte gehörende Land Bremen der Landesversicherungsanstalt Oldenburg zugeordnet. Mit dem Zusammenschluss ändert sich auch die Größenordnung der neuen LVA. Sie rückt von einer der kleinsten in die Reihe der mittleren Anstalten auf. Als vorteilhaft erweist sich die nunmehr vielfältigere Erwerbsstruktur des Versichertenbestandes durch das Hinzukommen des gewerblich hoch entwickelten Landes Bremen zum bisher überwiegend landwirtschaftlich geprägten Anstaltsbereich.
1957
Die Rentenreform
Wohl keine Rechtsänderung in der Geschichte der Rentenversicherung seit 1891 brachte derart umwälzende Systemänderungen mit sich wie die Rentenreform 1957.Die Umsetzung der tiefgreifenden Reform stellt die Leistungsfähigkeit der LVA auf eine harte Probe. Nur mit enormen Anstrengungen gelingt es, allzu große Rückstände zu vermeiden und die zahlreichen Neuerungen verhältnismäßig schnell in die Arbeitsabläufe einzureihen. Noch muss der Rentenversicherungsträger ohne Unterstützung moderner Technik auskommen. Den Wandel zum modernen Dienstleistungsunternehmen bestimmt nicht zuletzt die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung in den sechziger Jahren. Ohne EDV wäre eine zeitgemäße Betreuung von rund einer Million Versicherungskonten undenkbar.
Aufklärung der Bevölkerung in allen Fragen der gesetzlichen Rentenversicherung - eine Aufgabe, die bei der LVA Oldenburg-Bremen immer einen hohen Stellenwert hat. Ein dichtes Netz von Auskunfts- und Beratungsstellen und regionalen Sprechtagen, ergänzt von der Tätigkeit ehrenamtlicher Versichertenältester, bietet flächendeckende Beratungsmöglichkeiten.
Auch auf die Gesundheitsvorsorge wirkt sich die Reform von 1957 aus. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft bekommt Vorrang vor einer Rentenzahlung. Die LVA Oldenburg-Bremen trägt dem unter anderem durch den Neubau von Kliniken Rechnung. Im Laufe der Zeit haben sich auch die Krankheitsschwerpunkte verschoben. Während die Anträge auf Tuberkulosebehandlung immer weiter zurückgehen, treten andere Volkskrankheiten wie Rheuma und Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten in den Vordergrund. Die drei Kliniken der LVA sind auf die Behandlung dieser Leiden spezialisiert. Die Rehabilitationsnachsorge hilft, den Heilerfolg zu festigen.
2005
Im Wandel zum modernen Dienstleistungsunternehmen
Seit Oktober 2005 treten durch das Gesetz zur Organisationsreform alle Rentenversicherungsträger unter dem gemeinsamen Dach "Deutsche Rentenversicherung (DRV)" auf. Die Landesversicherungsanstalten wurden dementsprechend umbenannt. Ziele der Organisationsreform waren Synergieeffekte zu nutzen, Verwaltungsabläufe zu verschlanken und Zahlungsströme zu vereinfachen. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten wurde abgeschafft. Dadurch wurden Meldeverfahren einfacher, Arbeitgeber können Beiträge zur Rentenversicherung einheitlich abführen.
Weitergehende Details zu unserer wechselvollen Geschichte finden Sie in unserer nachstehenden Broschüre anlässlich unseres 125-jährigen Bestehens.