"Spielerisch" fast in den Selbstmord

Harald blickt im Gespräch mit Therapeutin Ulrike Dickenhorst auf seine erfolgreiche Sucht-Reha zurück.
Suchtmittel Geld: Der schwere Kampf pathologischer Glücksspieler
Das böse Erwachen kommt erst, wenn man das letzte Geldstück in der Hand hat. Dann denkt man sich: ‚Wie blöde bist du eigentlich? Da gehe ich nie wiederhin!‘ Aber: Am nächsten Tag ist man wieder da und alles geht weiter. Man kann nicht anders. Die Sucht lässt einen nicht los.“ Bei Harald ging das insgesamt 10 Jahre so. Die Glücksspielautomaten in Kneipen und Spielhallen bestimmen sein Leben. Diese Sucht treibt den gut verdienenden Angestellten im Qualitätsmanagement nicht nur in eine enorme Verschuldung – zum Schluss sind es über 60.000 Euro. Für den heute 63-Jährigen kommt es damals in 2012 noch schlimmer: Er erleidet einen psychischen Zusammenbruch. „Ich hatte sogar die Absicht, mir das Leben zu nehmen, weil ich keinen Ausweg mehr gesehen habe.“ Harald ist pathologischer Glücksspieler, Harald ist hochgradig suchtkrank. Sein Hausarzt weist den Familienvater aus dem Münsterland zum Entzug in die Psychiatrie ein. Nach 18 Tagen geht es von dort direkt in die stationäre Rehabilitation der Bernhard-Salzmann-Klinik in Gütersloh. Diese Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ist auf diese Suchtform spezialisiert, hilft Patienten und Versicherten der Deutschen Rentenversicherung sowie der Krankenkassen, wieder zurückzufinden ins „normale“ Leben. Wichtigstes Ziel in den acht Wochen Reha: das Beherrschen der Sucht, das Vermeiden, rückfällig zu werden, wieder in diese zerstörerische Abhängigkeit zu geraten. „Denn Auslöser und Erfahrungen der Sucht – eben auch beim Glücksspiel – bleiben bei den Patienten im Suchtgedächtnis verankert. Das kann leider nicht abgestellt werden“, verdeutlicht Ulrike Dickenhorst, therapeutische Leiterin der Klinik. Sie berichtet zudem davon, dass auch diese Sucht alle gesellschaftlichen Gruppen treffe. 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung gelten als pathologische Glücksspieler. Zum Vergleich: Alkoholkranke haben einen Anteil von 3,8 Prozent, Drogenabhängige von 0,5 Prozent. Auslöser der Sucht bei Harald war damals eine Mischung aus Eheproblemen, beruflicher Belastung und Einsamkeit auf langen Dienstreisen. „Und dann bin ich in einer Kneipe an so einen blöden Automaten gelangt. Da habe ich erst sogar gewonnen.“ Bitter und typisch: Nach dem kurzen, aber einprägenden Gewinn-Glücksmoment kommt der permanente Dauer-Verlust: „Dann versucht man, dem verlorenen Geld am Automaten hinterherzurennen. Weil man denkt, irgendwann gewinne ich ja wieder …“ Ab da dreht sich die Suchtspirale immer weiter nach oben – und parallel dazu die Spirale des Geldverlustes, des Schuldenmachens, immer tiefer nach unten.
Arbeit und Spielen
Haralds Lebensalltag verändert sich völlig, sein Leben kennt fast nur zwei Schwerpunkte: „Meine Arbeit und das Spielen. Meine Familie war für mich schon irgendwie außen vor.“ An den Automaten in den Spielhallen ist er in seiner eigenen, für ihn „heilen“ Welt: „Da konnte ich alles um mich herum vergessen. Das war dann immer wie in einem Rausch.“ Doch diese vermeintlichen Glücksmomente enden immer abrupt und jäh, wenn die letzte Münze im Schlitz des Automaten verschwindet. Dann ist das Suchtmittel zu Ende, dann verkehrt sich das „Glück“ in Reue, in Entzug, in Qualen – genau wie bei jedem anderen Suchtkranken. Denn was für den Trinker der Alkohol, für den Fixer der „Stoff“, das ist für den pathologischen Glücksspieler das Suchtmittel Geld. Geld, was jeder im Portemonnaie hat, was für jedermann zum ganz normalen Alltag gehört. Und genau diese Alltäglichkeit, diese Normalität macht den Erfolg von Entzug und Reha so ungemein schwierig. Man kann eben das Suchtmittel Geld nicht einfach so aus dem Alltag verbannen. Auch ein pathologischer Glücksspieler muss Lebensmittel einkaufen, beim Tanken bezahlen oder sich notwendige Dinge des Lebens anschaffen. Nur, er hat dabei immer sein Suchtmittel buchstäblich in der Hand. „In der Therapie erarbeiten wir, wie die Patienten Risikosituationen erkennen, wie sie damit umgehen, wie sie Rückfälle verhindern können“, beschreibt es die Therapeutin. Das Suchtgedächtnis darf nicht wieder aktiviert werden – im späteren Alltag eine permanente Herausforderung. Harald ist seit vielen Jahren abstinent, hat in seiner Familie den nötigen Halt gefunden und hat die wichtigen Schutzmechanismen für seinen Alltag entwickelt: „Ich nehme keine Kreditkarten mit und nur noch so viel Bares, wie ich für die Einkäufe gerade benötige. Ganz wichtig: Ich meide Orte mit Spielautomaten sehr konsequent.“ Harald, der inzwischen all seine Schulden zurückzahlen konnte, ist sogar noch einen Schritt weitergegangen: Er engagiert sich zusammen mit seiner Frau ehrenamtlich in Selbsthilfegruppen, ist sogar im Landesvorstand des Dachverbandes aktiv. Ein Suchthelfer, der weiß, wovon er redet.